Projekte Nachhaltigkeit

Ein Dauerthema für das Fraunhofer ISC ist die Forschung und Entwicklung für nachhaltigere Produkte und Verfahren. In allen Forschungsbereichen des ISC spielt Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Von der Ressourcenschonung durch multifunktionelle Materialien über den Einsatz nachwachsender Rohstoffe, die Umstellung auf wässrige Prozesse und unkritische Ausgangsstoffe, die Dekarbonisierung, ressourcen- und energieeffiziente Prozesse oder intelligente Rückgewinnung und Wiederverwendung von Funktionsmaterialien.

Dabei sind Digitalisierung und maschinelles Lernen Schlüssel für eine Rohstoff- und Energie-effiziente Materialentwicklung der Zukunft – das Fraunhofer ISC liefert wichtige Beiträge für eine nachhaltigere Produktion.

Beispiele aus der aktuellen Forschung

»INN-PRESSME«: EU-Projekt fördert offene Innovationen mit bio-basierten Lösungen

EU-Projekt INN-PRESSME
© Projekt INN-PRESSME

Das EU-Projekt INN-PRESSME geht neue Wege, um europäischen Unternehmen den Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft zu ebnen. Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC ist Teil des EU-weiten Konsortiums und unterstützt das Projekt durch die Entwicklung von biologisch abbaubaren und umweltverträglichen Beschichtungslösungen.

Der Übergang zu einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft ist ein zentrales Anliegen des »European Green Deal«. Ein Projekt, das an vorderster Front dieser ehrgeizigen Bemühungen steht, ist INN-PRESSME, ein Gemeinschaftsprojekt von 27 Partnern aus neun europäischen Ländern. Ziel des Projekts ist es, Lösungen für verschiedene Industriebereiche zu entwickeln, um fossile Kunststoffe durch biobasierte Materialien in der gesamten Produktionskette zu ersetzen. Die Industriezweige für Verpackungen, Konsumgüter sowie Energie und Transport stehen dabei besonders im Fokus.

 

Zugang zu Innovationsplattformen

Die treibende Kraft hinter INN-PRESSME ist das Open Innovation Test Bed (OITB). Diese Innovationsplattform bietet mit einer Anlaufstelle Unternehmen den Zugang zu gemeinsamen Pilotanlagen, die von zehn europäischen Partnern betrieben werden. Daneben bietet sie auch Dienstleistungen, die für die Entwicklung, Prüfung und Hochskalierung von biobasierten Materialien in industriellen Umgebungen erforderlich sind. So treibt die Plattform recycelbare und biologisch abbaubare Produktlösungen von der Validierung im Labor bis hin zur Prototypenentwicklung voran.


Anwendungsfälle verdeutlichen Leistungsfähigkeit der Materialien

Im Zentrum des Projektes stehen insgesamt neun reale Anwendungsfälle aus den drei genannten Industriebranchen: Verpackungen, Konsumgüter sowie Energie und Transport.    

Diese sollen die Leistungsfähigkeit der innovativen Materialien demonstrieren und dabei am Ende des Projektes mit TRL 7* zur Verfügung gestellt werden. Das Fraunhofer ISC ist in sechs Anwendungsfällen aus allen drei Bereichen aktiv und bringt seine Expertise in der Beschichtung mit und von biobasierten Materialien ein. Das Spektrum der Anwendungsfälle, an denen das Fraunhofer-Team arbeitet, reicht von einer Kosmetiktube auf Papierbasis über Interieur-Bauteile im Automotive-Bereich bis hin zu nachhaltigem Styroporersatz für Sportgeräte. Die spezifischen Entwicklungen hierzu sind damit sehr breit aufgestellt und auch für viele andere Anwendungsfälle interessant.
INN-PRESSME ist ein ehrgeiziges Unterfangen, das durch das Prinzip der offenen Innovation die Transformation hin zu einer ressourcenschonenderen Wirtschaft vorantreiben möchte. Das Projekt läuft seit dem 1. Januar 2021 und wird bis zum 31. Januar 2025 fortgesetzt, mit dem klaren Ziel, Lösungen auf den Markt zu bringen und europäische Unternehmen auf eine nachhaltige Zukunft vorzubereiten.

*TRL  = Technology Readiness Level – ein Maß für die technologische Reife einer Entwicklung.

Die drei Hauptanwendungsgebiete

INN-PRESSME: Biobasierte Lösungen Beispiel Verpackung
© pexels, anna shvets
VERPACKUNGEN
INN-PRESSME: Biobasierte Lösungen Beispiel Transport
© freepik
ENERGIE + TRANSPORT
INN-PRESSME: Biobasierte Lösungen Beispiel Konsumgüter
© freepik
KONSUMGÜTER

»NewHyPe«: Mikroplastik auf dem Acker vermeiden

NewHyPe New Hybrid Paper
NewHyPe Mulchfolie Nanocellulose
© unsplash

Landwirte und Gärtner verwenden oft Mulchfolien, um ihre Ernteerträge zu steigern und die Bodenfeuchte zu regulieren. Das Problem: Das erdölbasierte Material von Mulchfolien ist nicht biologisch abbaubar. Nach der Saison müssen die Folienreste daher mit großem Arbeitsaufwand eingesammelt werden oder sie verschmutzen die Felder. Im Projekt NewHyPe entwickeln Fraunhofer-Forschende gemeinsam mit europäischen Partnern nachhaltige, biologisch abbaubare Mulchpapiere mit einer schützenden Hybridbeschichtung.


Mehrere Jahrzehnte bleiben die Rückstände der Folien aus erdölbasierten Polymeren, v. a. Polyethylen in der Erde. Da sie nicht biologisch abbaubar sind, sammeln sie sich dort an und verschmutzen die Böden. Zwar werden sie am Ende der Saison wieder eingesammelt. Das bedeutet jedoch einen großen Arbeitsaufwand und gelingt in der Regel nicht restlos. Wenn sich die Folienreste zu Mikroplastik zersetzen, können sie letztendlich auch in die Nahrungsmittelkette gelangen. Im Projekt NewHyPe entwickelte ein Forscherteam am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg gemeinsam mit Forschungs- und Industriepartnern aus Deutschland, Finnland und Norwegen bioabbaubare, nachhaltige Alternativen.

Eine wichtige Bedingung: Der umweltfreundliche Ersatz für die großflächigen Folien muss preiswert sein und in Massen hergestellt werden können.


Biologisch abbaubares Papier ersetzt Plastikfolien

Bei der Entwicklung der nachhaltigen Folien setzten die Projektpartner auf zellulosebasiertes Papier. Das hat den Vorteil, dass es sich schnell und rückstandsfrei zersetzt – zu schnell, um direkt eingesetzt werden zu können. Eine schützende Funktionsbeschichtung aus ORMOCER® soll das Papier stabilisieren und den Zersetzungsprozess verlangsamen, sodass es mehr als nur ein paar Regenfälle aushält und auch leichter ausgebracht oder befahren werden kann. Die Materialklasse der ORMOCER®e wurde vor mehr als 30 Jahren am Fraunhofer ISC entwickelt und verleiht durch den hybriden anorganisch-organischen Charakter der Materialien chemische und mechanische Stabilität. Das Mulchpapier soll für eine Anbausaison von etwa drei bis sechs Monaten stabil sein und sich anschließend komplett zersetzen. Erste Tests bewiesen, dass sich durch die Beschichtung des Papiers dessen Nassreißfestigkeit massiv erhöht und es somit stabiler ist als das unbeschichtete Pendant. Ein Kompostiertest zeigte darüber hinaus, dass sich das beschichtete Material langsamer abbaut, sich aber nach wie vor zersetzt.
 

Neuartiges Hybrid-Mulchpapier

Die Projektpartner arbeiten neben der stabilisierenden Funktionsbeschichtung zudem an einem ganz neuen Hybrid-Mulchpapier aus funktionalisierter Nanocellulose mit ORMOCER®-Bindern. Das Besondere an dem Papier ist, dass es ohne zusätzliche Beschichtung auskommen soll und ebenso wie das beschichtete Mulchpapier aufgrund seiner Bioabbaubarkeit nach dem Einsatz einfach in den Boden eingepflügt werden könnte.
Das Fraunhofer ISC übernimmt innerhalb des Verbundprojekts NewHyPe die Koordination, die Verwaltung und das Management des gesamten Vorhabens. Dank der langjährigen Erfahrung und Expertise im Bereich der Beschichtungsentwicklung ist das Fraunhofer ISC außerdem für die Entwicklung, die Modifizierung und die Charakterisierung von hybriden Beschichtungsmaterialien – die Materialklasse ORMOCER® – und deren Kombination mit den zellulosebasierten Grundmaterialien verantwortlich.

»CircEl-Paper«: Recycelbare Elektronik auf Papierbasis

Projekt CircEl-Paper
© Fraunhofer ISC
CircEl-Paper: Recycelbare Elektronik auf Papierbasis
© Fraunhofer ISC

Jährlich fallen in der EU Milliarden Tonnen Elektroschrott an. Mit einem neuartigen Ansatz könnte das EU-Projekt CircEl-Paper den Recyclingprozess für Elektronik in Zukunft nachhaltig verbessern.  
 

Elektronik, die im herkömmlichen Papierrecyclingverfahren entsorgt und sogar recycelt werden kann?

Das ist das Ziel des EU-Projekts CircEl-Paper. Dazu werden funktionale Leiterplatten auf der Basis von Papiertechnologie entwickelt. Ein solcher Ansatz, der eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft auch für die Elektronik ermöglicht, weckt seit einigen Jahren das Interesse von Forschenden. Nun wird es erstmals in einem großen komplementären Konsortium für komplexe Geräte untersucht.
 

Elektroschrott im Altpapier entsorgen

Zwar ist Recycling innerhalb der EU schon gut etabliert, beim Recycling von Elektroschrott gibt es jedoch noch erhebliche Defizite. Da Leiterplatten aus vielen verschiedenen Materialien bestehen, ist ein vollständiges Recycling sehr komplex und teuer. Das Recyclingverfahren von Altpapier hat sich dagegen bewährt und wird von den Verbrauchern bestens akzeptiert. Um die Recyclingquote von elektronischen Bauteilen zu erhöhen, ist daher der Weg über das Papierrecycling am vielversprechendsten.
Das Projekt CircEl-Paper möchte herausfinden, ob und wie dies möglich ist, ohne die Leistung der Elektronik zu beeinträchtigen.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu recycelbaren Leiterplatten ist der Ersatz des üblichen Glasfaser-Polymer-Verbundmaterials FR4 durch ein Papiersubstrat. Für den ökologischen Fußabdruck würde dies eine Reduzierung der CO2-Äquivalente um bis zu 60 Prozent
bedeuten. Um die Leiterplattentechnologie in die Kreislaufwirtschaft zu überführen, wird jeder Prozessschritt untersucht. Darüber hinaus werden alternative Ansätze entwickelt, die den Anteil der Materialien erhöhen, die recycelbar, biobasiert, auf Sekundärrohstoffen basierend oder zumindest unbedenklich für die Umwelt sind und die eine höhere Integrationsdichte erlauben als die, die bisher möglich ist.
 

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Medizin, Logistik und Unterhaltungselektronik

Drei Use-Cases aus den Bereichen Medizin, Logistik und der Unterhaltungselektronik werden demonstrieren, in welchen Bereichen die papierbasierte Elektronik Anwendung finden kann: Ein medizinischer Sensor zur Messung des Glukosespiegels auf der Haut, eine Verpackung mit einem integrierten Indikator für Zeit und Temperatur (Time Temperature Indicator TTI) und musikspielende Grußkarten stehen exemplarisch für die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der Technologie.
Das internationale Konsortium, das seit September 2022 an dem Projekt arbeitet, deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab. Unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC arbeiten insgesamt acht Partner aus Forschung und Industrie an der Umsetzung des Projektes.

»BIG-MAP«: Paradigmenwechsel bei europäischer Batterieinnovation

EU-Projekt BIG-MAP
© Projekt BIG-MAP
BIG-MAP: Entwicklung neuer Batteriegenerationen
© Fraunhofer ISC
BIG-MAP: Automatisierte Syntheseanlage
© Fraunhofer ISC

Batterien werden beim Wandel zu einer emissionsfreien Wirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Das EU-Projekt BIG-MAP beschleunigt die Entwicklung von Batterien, indem die Art und Weise des Erfindens verändert wird. So sollen künftige nachhaltige und ultrahochleistungsfähige Batterien zehnmal schneller entwickelt werden können als heute. Mit einer automatisierten Syntheseanlage trägt das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC dazu bei, das Erfinden von Batterien neu zu definieren.
Die Nachfrage nach effizienten und umweltfreundlichen Batterien steigt weltweit rasant an und Europa möchte dabei eine führende Rolle einnehmen. Das EU-Projekt BIG-MAP hat deshalb eine ehrgeizige Mission: Die Entwicklung nachhaltiger und hochleistungsfähiger Batterien soll nicht nur um das Zehnfache beschleunigt werden, es setzt auch auf einen radikalen Paradigmenwechsel in der europäischen Batterieinnovation. Während es vor dem Projekt keine einheitlichen Standards in der Batterieforschung gab, besteht das zentrale Anliegen von BIG-MAP darin, die Batterieforschung und -entwicklung europaweit zu vereinen und zu standardisieren.

Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, bringt das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC seine Expertise in chemischer Analytik, Robotik sowie Digitalisierung ein. Das Herzstück ist eine automatisierte Syntheseanlage für organische Kathodenmaterialien, die am Forschungs- und Entwicklungszentrum für Elektromobilität entwickelt wird. Mit Hilfe von maschinellen Lernalgorithmen kann der Synthese-Roboter auf Synthesevorschriften, d. h. quasi auf Rezepte für Kathodenmaterialien, aus dem europäischen Forschungsnetzwerk zurückgreifen und diese auf molekularer Ebene auswerten. Die entsprechenden Prozessfaktoren wie Temperatur, Mischzeiten und andere Parameter werden automatisch optimiert und durchgeführt. So ermöglicht dieser Ansatz eine schnellere und präzisere Materialentwicklung.

Die Anlage besteht aus verschiedenen Komponenten, die miteinander kommunizieren können. Das ist besonders wichtig, damit alle Komponenten reibungslos zusammenarbeiten. Durch die Integration von passenden kommerziell erhältlichen Produkten ist die Robotik-Anlage modular und reproduzierbar. Daneben hat das Forschungsteam aber auch in Zusammenarbeit mit der Universität Kopenhagen, der ITU, eigene Lösungsansätze für spezielle chemische Prozessschritte entwickelt und in die Anlage integriert wie etwa die automatisierte »Liquid-liquid Extraction«. Während dieser Prozess vorher händisch durchgeführt werden musste, übernimmt nun ein Roboter den Vorgang.

Aufgrund des Erfolgs wurde das Projekt, das bereits seit drei Jahren läuft, um weitere sechs Monate verlängert, und es werden bereits Pläne für ein Folgeprojekt geschmiedet. Hier kommt noch ein weiterer Vorteil der Anlage ins Spiel: Der modulare Aufbau der Syntheseanlage erlaubt eine flexible Anpassung an weitere Prozesse. Das macht die Anlage auch für zukünftige Forschungsvorhaben, beispielsweise das Batterierecycling, äußerst attraktiv. Durch Verschmelzung von Künstlicher Intelligenz und autonomer Syntheserobotik ist das BIG-MAP-Projekt auf dem besten Weg, eine neue Ära in der Batterieforschung einzuleiten.